Meine Freunde: Die DJ

01/06/2014
t e x t | S P I E G E L  O N L I N E     Eine junge Australierin will sich in Berlin als DJ durchsetzen. Ihr Sound kommt gut an. Doch im Klub steht oft nicht ihre Musik im Mittelpunkt, sondern ihr Körper. in meiner reportage für spiegel online zeige ich, wie sich sich dagegen wehrt. | Meine leistungen: recherche, text

Drüben am Berliner Techno-Strich, wo jeder Klub wie der andere aussieht, stehen die Nachtmenschen Schlange, als Kate Miller eine Kiste auf die Straße schleppt. Bei den Feiernden sind mal wieder alle Lampen an, Kate ist nüchtern. An ihren Schultern baumeln Taschen, wie bei jemandem, der auf Reisen geht. Dann steigt Kate in ein Taxi: ab zur Schicht, der dritten in vier Tagen. Ihr Gepäck: ein Haufen Platten. Ihr Beruf: Techno-DJ.

In Berlin legen an diesem Wochenende Hunderte Techno-DJs auf. 25 allein im Kosmonaut in Friedrichshain, wo Kate gleich spielt. Sie wird die einzige Frau sein. So wie fast immer, sagt sie, daran hat sie sich gewöhnt. Was sie stört, sind die Sprüche. Nicht über ihre Musik, sondern über ihr Aussehen. Kate hat sich deshalb entschieden, ihr Äußeres radikal zu verändern. „Ich will hinterm DJ-Pult nicht mehr sexy sein“, sagt sie. Beim Auflegen nicht mehr als Frau auffallen, sondern nur noch durch ihre Musik. Wie wäre ein neuer Stil, eine neue Frisur?

Als Kate Miller vor knapp drei Jahren aus Melbourne nach Berlin zieht, trägt sie ihre blonden Haare rot gefärbt. Sie schminkt sich stark, geht feiern und träumt von einer Karriere als DJ. Sie liebt Musik, spielt Gitarre und Klavier. In Australien hat sie schon in Klubs aufgelegt, jetzt will sie es in der Hauptstadt der Klubkultur versuchen, wie so viele. Berlin meint es gut mit ihr: Kate findet einen Freund, der Partys organisiert. Er bucht sie, sie werden ein Paar. Von da an ist alles im Fluss. Sie bekommt immer mehr Gigs, legt auf, in den Klubs mit den großen Namen und in anderen Städten, in Frankreich.

Jetzt ist Kate 24 und spielt fast jede Woche woanders. Bis zu 400 Euro bekommt sie für einen Auftritt. Wenn man jede Woche zweimal spielt, kann man davon leben, sagt Kate. Bei ihr ist es noch nicht so weit: Sie hat eine Wohnung in Melbourne geerbt, die Miete finanziert ihr Leben als DJ.

Im Kosmonaut schaltet Kate die Anlage ein, ein fensterloser Raum, noch herrscht Ruhe. Jemand stellt ihr einen Schnaps neben das Mischpult. Kate lässt ihn stehen. Bevor sie die Nadel auf die erste Platte setzt, bürstet sie den Staub weg. Dann kommt der Sound, Kate zieht ihre Jacke aus. Weißes Shirt, kurze Haare, an beiden Mittelfingern trägt sie einen Ring. Als der Bass einsetzt, geht die Eisentür am Ende des Raums auf. Tanzende strömen herein, Schweißgeruch mischt sich mit Kunstnebel. Von hier hinten sieht keiner Kates große Augen, ihre vollen Lippen. Hat sie erreicht, was sie wollte?

Wenn Kate auflegt, wird sie oft angemacht. „Irgendein Spruch kommt immer“, sagt sie.

Wenn Kate auflegt, wird sie oft angemacht. „Irgendein Spruch kommt immer“, sagt sie. In einer Nacht vor drei Wochen war es anders, da kam mehr. Kate spielt im Chalet in Kreuzberg. Männer machen ihr Komplimente. Einer findet ihre Beine sexy, ein anderer fragt, wie sie als Frau so gut auflegen könne. Kate glaubt, die Männer trauen sich das, weil sie im Rampenlicht steht. Auf der Bühne sind die Regeln anders, die Grenzen verschwimmen. Als ihr Gig vorbei ist, bedrängt ein Mann sie. Er drückt sie gegen eine Wand, versucht immer wieder, sie zu küssen – und haut ab. So erinnert sich Kate an den Abend.

Sie entscheidet sich, die Sache öffentlich zu machen. Auf Facebook schreibt sie: „Ich will nicht mehr nett und höflich sein. Der Nächste, der mir sagt, dass ich schöne Beine habe, kriegt ein blaues Auge.“ Kate will ein Zeichen setzen gegen die Diskriminierung von weiblichen DJs. Sie bittet ihren Freund, ihr die Haare abzuschneiden. So kurz es geht. Mit einem Rasierer trimmt er Kates Haare auf wenige Millimeter. Danach sieht sie so aus wie er, nur kleiner.

Kate Miller Hausflur

Sie schließt sich Female Pressure an, einem internationalen Frauennetzwerk für digitale Musik und Kunst, in dem sich 1300 Musikerinnen und DJs engagieren. Es prangert an, dass bei Festivals, in Klubs und Labels nur jede zehnte Künstler eine Frau ist. Kate spricht mit anderen Frauen aus der elektronischen Musikszene. Sie liest Bücher über Sexismus, Feminismus, schaut Filme. Und nennt sich selbst nicht mehr DJane: „Warum sollte Geschlecht beim Namen eine Rolle spielen?“, sagt sie; DJ ist DJ, alle machen das Gleiche. Frauen müssen sich die Haare nicht abrasieren, um in Ruhe ihren Job zu machen, findet Kate. Sie streicht sich über ihren rasierten Kopf. „Es ist nichts falsch daran, lange Haare und Kurven zu haben, sexy zu sein.“ Für sie selbst ist es einfacher, weniger feminin aufzutreten, sagt sie.

Nach vier Stunden dreht Kate die Musik im Kosmonaut leiser. Applaus setzt ein, einige Gäste jubeln. Kate lächelt. Den Schnaps hat sie nicht angerührt. Großartig, ruft einer auf Englisch. Ein Holländer. Er sagt: „Ich höre den Unterschied, wenn eine Frau auflegt.“ Sie seien weniger berechenbar, trauten sich mehr. Kate trägt ihre Platten durch die Menge. Im Büro holt sie sich ihre Gage ab. Einer der Veranstalter sagt, jede Frau hinter dem Pult kenne die Sprüche, die Blicke, die Diskriminierung. Er versucht, über „female pressure“ neue Künstlerinnen zu entdecken. Ein anderer sagt, er würde mehr Frauen buchen, „wenn es mehr weibliche DJs geben würde“.

Männer dominieren weiter die Technoszene, sagt Kate, daran muss sich etwas ändern. Aber nicht mehr in dieser Nacht. Als sie vor dem Klub auf ein Taxi wartet, dämmert es bereits.

Dieser Text ist auf Spiegel Online erschienen.