Meine Freunde: Der Soldat

11/04/2013
b l o g | t e x t       Jahrelang arbeitet Ein Soldat auf seinen großen Einsatz hin. Als es soweit ist, will er nicht GEHEN. Seine kleine Tochter wird ihn danach nicht mehr erkennen.

„Alter, wanderst Du aus?“ brüllt der Schmuckhändler vom Stand gegenüber, „mit dem ganzen Zeug könntest Du ja gleich deinen eigenen Markt starten!“ Noch hängt die Nacht wie ein schwarzer Umhang über dem Berliner Flohmarkt. Die, die jeden Sonntag hier sind, wie der graubärtige Kroate mit den selbstgemachten Ohrringen, haben längst alles aufgebaut.

Thorben Miller* nimmt den alten Mann kaum wahr. Eilig lädt er weiter aus, schließlich ist sein Möbelwagen noch halbvoll. Kurz darauf hebt er eine sperrige Couch allein von der Rampe, ein prächtiges Teil aus weißem Leder. Dabei kommt er mit zwei Gestalten in leuchtenden Sportanzügen ins Gespräch – und verkauft das edle Möbel für ein paar Münzen. „Alles muss raus“ ruft er ihnen grinsend hinterher, „ihr könnt meine ganze Wohnung haben. Ich will den Plunder loswerden!“

Miller ist ein drahtiger Typ, Anfang 30, charmante Ausstrahlung; zwischen den blassen Gesichtern der anderen Marktleute könnte man ihn mühelos für einen Vertreter der Berliner Bohème halten – mit seiner Vintage-Brille, dem abgenutzten Mantel, und den über die Stiefel gekrempelten Jeans. Doch Miller stammt aus einer anderen Welt. Eine, in der man Uniform trägt – und sie manchmal für Monate nicht mehr auszieht.

In knapp zwei Wochen wird Hauptmann Thorben Miller in Afghanistan über 90 Soldaten befehlen, als Führer einer Umschlagstaffel in Masar-i-Sharif, dem größten Feldlager der Bundeswehr. „Wir versorgen die Jungs vor Ort mit allem, was sie brauchen“, blickt er vorfreudig auf seine Mission, „vom Snickers bis zum Helikopter-Motor.“ Und nebenbei ist die Staffel für die Koordination des Abzugs vom Hindukusch verantwortlich, 2014 endet die unbeliebte ISAF-Mission.

Am Tag nach dem Flohmarkt organisiert er erst einmal den Rückzug aus seinem alten Leben. Er schleppt seine Waschmaschine in den Keller der Mutter: „Für mich ist Afghanistan eine wahnsinnige Befreiung“. Im letzten Jahr sei einiges schief gelaufen: Die Mutter seiner Tochter trennte sich nach der Geburt von ihm, er blieb allein zurück in der teuren Altbauwohnung; ein Richter legte fest, wie oft er seine Tochter sehen durfte – kaum. Er sagt Sätze wie: „Es fühlt sich geil an, auf den Reset-Knopf zu drücken“ oder „Die große Wohnung, das kuschelige Familienleben, das war mir alles nichts wert!“ Man ist versucht, seinen Weg nicht als Flucht aus dem Jetzt zu verstehen.

Szenenwechsel: Genau eine Woche zuvor bringt sich Hauptmann Miller hinter einem winzigen Bretterverschlag in Deckung. Eine Patrouille ist zu Fuß in einen bewaffneten Hinterhalt geraten, zwei Kameraden liegen schwerverletzt neben ihm. Als Dienstgrad-Höchster übernimmt er das Kommando, ordert Verstärkung und bringt seine Leute in Sicherheit.

„So einsatznah wie hier“ – auf dem Truppenübungsplatz in Wildflecken – „war eigentlich die ganze Vorbereitung“ sagt er danach im Mannschaftsheim, noch ganz rot im Gesicht von der Erschöpfung. Nur war die Ausbildung nicht immer so aufregend: Allein 15 Wochen wurde der Güterumschlag mit echten Zahlen aus Afghanistan simuliert. Zwölf Monate lief der Countdown für seinen Einsatz, „aber eigentlich habe ich die letzten zwölf Jahre darauf hingearbeitet“. Solange ist Miller bei der Bundeswehr. Schon sein Vater, Oberstleutnant a.D. „war immer im Einsatz, meine ganze Kindheit“. Sein Opa mütterlicherseits war Hauptmann bei der Roten Armee. Warum diese Karriere? „Ich kann hier so viel gestalten“, sagt er, „ich bin 30, bekomme superteures Material an die Hand, hochqualifizierte Menschen – das ist eine wahnsinnige Verantwortung für mein Alter!“

Vier Tage vor dem Abflug fängt Miller an, die Stunden zu zählen. Manchmal träumt er schon von der Wüste, dem Blut. Vor Verwundung oder Tod hat er keine Angst. Nur um seine zehn Monate alte Tochter: Wenn er in fünf Monaten zurückkommt, wird ihn die kleine Lidia nicht mehr erkennen. „Weil das Physische fehlt“, so die Experten.

Lidia ist jetzt viel beim ihm, so kurz vor dem Einsatz hat das Gericht eine Ausnahme gemacht. „Wir zwei haben uns wirklich gut kennengelernt. Sie weiß jetzt, wer Papa ist“ sagt Miller und schaut seiner Tochter in die türkisblauen Augen „das darf nicht alles weg sein!“ Später steigt er mit der Tochter im Arm auf eine kleine Bühne, sein Heimat-Bataillon in Beelitz verabschiedet sich von den Familien. Miller sagt kurz ein paar Worte, während Lidia eine gelbe Schleife zerreißt – das Symbol für die Verbundenheit der Angehörigen mit den Soldaten. „Wie süß“, sagt jemand in Uniform: “Ich wusste nicht, dass Hauptmann Miller auch eine Familie hat.“

* Name geändert